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Malen und Meditation

Wie beeinflussen Mediationsübungen meine bildnerische Kreativität?

Selbstversuch über die Dauer von 12 Wochen:

Wöchentlich begebe ich mich in mein Mal-Labor und male nach dem immer gleichen Ritual. Ich benutze Acryl-Farben auf Leinwand 60 x 90 cm groß. Zuerst male ich 90 min lang. Dann meditiere ich 45 min. In direktem Anschluss male ich ein weiteres Bild in 90 min.

Vor dem Meditieren

Nach dem Meditieren

Beispiel eines Tagebucheintrags

Beginn Kalenderwoche 9:

1.1Bild: Kurzes Innehalten, ich bestimme rot-ocker-gelbe Farbe. Der Pinselschwung kommt spontan, Strich für Strich, schnell sind die Farben gewechselt, gemischt, viel Unruhe und Aufgewühlt sein zeigt sich in Entscheidungsfreud und groben Formen, mit viel Farbe am Pinsel. Schnell ist die Leinwand bemalt, alles scheinbar chaotisch. Blick auf die Uhr. Nun will ich einige Stellen klären, ständig in Zwiesprache mit dem Bild. Automatisch weiß ich was zu tun ist. Dann plötzlich innehalten, zweifeln, Stirnrunzeln, alles in Frage stellen. Die Gegenstandslosigkeit und damit große Freiheit erfordert Entscheidungen, Standpunkte, Klarheit, ein „Dazu stehen“. Blick auf die Uhr treibt Entscheidung voran. Die wichtigsten Stellen kläre ich. Fertig!

Meditation

1.2.Bild: Ganz klar: eine weiße üppige Grundierung. Farbe gemischt, der Pinsel wandert wie in einer Schneelandschaft, dreht sich, ändert die Richtung, nimmt neue Farbe auf und hinterlässt seine Spuren. Es malt wie von selbst, ruhig, sicher, bedächtig. Eigenwillige Formen sind zu sehen. Vieles bleibt weiß. Farbübergänge flächige Verbindungen schaffen. Jeder Schritt folgt sicher auf den anderen. Blick auf die Uhr – Orientierung, Vergewisserung, Sicherheit. Fertig!

Mein Ergebnis?

Um festzustellen, inwiefern bzw. auf welche Weise Meditieren einen Einfluss auf meine künstlerische Bildsprache ausübt, muss ich erst einmal beschreiben, welchen Einstieg ins Malen ich häufig wähle. Ich bezeichne es als „Momentmalen“. Diese Strategie benutzte ich auch als Impulsgeber für dieses Projekt. Dabei gibt es keine Vorplanung des Bildinhalts, kein Anstreben von Abbildhaftem, keine Vorstellung des kommenden Bildes, kein Richtiges oder Falsches. Es gibt ein Entstehen lassen, ein Einlassen auf den Prozess des Wechselspiels Agieren-Beurteilen-Entscheiden-Reagieren, wobei Spontanes, Intuitives die Antriebskraft liefert. Die Innere Haltung ist Freiheit. Beim Momentmalen ergeben sich individuelle Bildzeichen, geprägt durch Erfahrung und Umgang mit dem Material, den für mich typischen Bewegungen des Pinselstrichs, den aus meinem Leben kommenden visuellen Sensationen.

 

Entsprechend ist in der Bildserie, die vor dem Meditieren entstanden ist, die Formgebung sehr spontan, bewegt, meist mit viel Farbauftrag, vielschichtig, so als wäre das Bild ein Ausschnitt eines Größeren. Es gibt viel Unruhe.

 

Meine gewählte Form der Meditation, die Acem-Meditation, ist im Unterschied zu anderen Meditationsformen neutral, also nicht ideologisch oder religiös. Durch diese Neutralität ist eine stille, reflexive Emotionalität möglich, die nahe am eigenen Leben ist.

Es ist ein Verarbeitungsprozess, der keine Ergebnis anstrebt, sondern den Geist öffnet und Möglichkeiten frei gibt. Bei der Meditationstechnik spielt die freie innere Haltung eine große Rolle. Die Folge ist Entspannung einerseits, aber auch überraschende Einblicke in das Unbewußte sind möglich. 

 

Die nach dem Meditieren entstandene Bildserie ist reduzierter, ruhiger, statischer. Die Bandbreite des Ausdrucks ist vielfältiger. Die Bilder enthalten klarere Formen, die nahezu in sich abgeschlossen sind. Der bildnerische Kompositionsanspruch ist nach dem Meditieren deutlich ausgeprägter. Es gibt Bilder, die naturalistische Themen zeigen; Bilder, die surreale Tendenzen haben; Bilder, bei denen Farbfelder eine Rolle spielen; Bilder, mit eigentümlichen Formen, die daran erinnern, wie ich vor Jahrzehnten gemalt habe.

 

Durch das Meditieren, scheint sich die bildnerische Unruhe sortiert zu haben. So sind unterschiedliche Ausdrucksbereiche (Themenbereiche) entstanden, klarer und konzentrierter, wie eine Vergrößerung von Ausschnitten aus Bildern der Serie vor dem Meditieren. Es scheint so, als ob verschiedene in mir angelegte Bildsorten durch das Meditieren abgerufen wurden.

Dieses Projekt wurde gefördert durch ein Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

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